Montag, 11. September 2017

Bildung: Wer "Elite" sagt, meint Faschismus


Nun hat sich auch der geschätzte Stefan Gärtner aus seinem Sommerurlaub in Dänemark zurückgemeldet und gleich mal – passend zum "Aufstieg der Begabten" – einen wunderbaren Text zur haareraufenden Bildungssituation in Deutschland abgeliefert, den ich in weiten Teilen nur wärmstens empfehlen kann. Er schließt mit den wohlfeilen Worten:

Ein mir nahestehender Verwandter berichtet von einem dieser Elternabende, die man lieber in Dänemark hätte: "Die Leistungen der hessischen Grundschulen werden verglichen. Damit man nicht die Bad Homburger Privatschule mit einer im Frankfurter Gallusviertel vergleicht, werden die Schulen kategorisiert, nach Lehrer-Schüler-Schlüssel etwa oder nach dem Bildungsgrad der Eltern. Wie denn dieser gemessen werde? Man lässt die Kinder malen, wie viele Bücherregale es zuhause gibt, je mehr, desto gebildeter."

Zauberhaft; als würden die Mittelschichtsregale (feat. Fitzek, Zeh und Rita Falk) nicht immer kleiner und werde nicht längst sehr viel mehr Zeit mit Netflix und Thomas Müller als mit Nietzsche und Thomas Mann verbracht. Aber was ein kulturelles, (im Doppelsinn) symbolisches Kapital ist, das sollen auch die Kleinen gleich lernen, und wer hat, der hat und messe sich nicht mit Habenichtsen, denn wozu sollte das gut sein, wenn nicht zu irgendwelchen Umverteilereien? Sollen sich die Restschulen für Regalferne ruhig untereinander vergleichen, das ist eh eine eigene Welt; derweil schauen wir, wer die meisten Fremdsprachen hat, denn nach oben ist wieder Luft: "Heute ist Lukas 16, er spricht Französisch, Englisch, Russisch, Spanisch und Chinesisch und peilt das deutsch-französische Abitur Abibac an" (SZ). Das ist, ganz ohne Ironie, schön für ihn, und mit der gewissen Grundhomogenität hat es das Milieu nun mal.

Solange die das Milieu nicht verlässt.

Das trifft – wie so oft – mitten ins Schwarze und entlarvt den gesamten "Eliten"-Karneval, der in diesem verkommenen Land in Sachen Bildungsmythos seit langem eine üble Schimmelpilzblüte nach der anderen treibt und immer weiter ins Absurde getrieben wird, als menschenfeindlichen Unfug. Man lese sich das sehr aufmerksam durch.

Dennoch muss auch hier Kritik erlaubt sein. Ich kann jedenfalls in keiner Weise verstehen, weshalb Gärtner das "dänische Modell" für Kleinkinder über den Klee lobt. Ist es denn wirklich erstrebenswert, wenn "neunzig Prozent der Kinder [zwischen einem und drei Jahren] eine vuggestue, die Kinderkrippe" besuchen? Was ist denn dagegen einzuwenden, wenn Kinder im Vorschulalter ein ganz "normales Familienleben" zuhause erleben und nicht bereits in diesem zarten Alter, in dem freundschaftliche Bindungen zu anderen Kindern oder Erwachsenen oder ähnliche pädagogisch erstrebenswerte Ziele noch gar nicht vorstellbar sind, in irgendwelchen Einrichtungen verwahrt und stattdessen auf das kapitalistische Haifischbecken vorbereitet bzw. schlicht dafür abgerichtet werden? Der einzige und offensichtliche Grund, der mir einfällt, weshalb die kapitalistische Bande so sehr an einer umfassenden "Kita-Betreuung" – möglichst schon ab dem Kleinkindalter – interessiert ist, besteht darin, dass beide Elternteile sofort nach der Geburt eines Kindes wieder der Ausbeutungsmaschinerie zur Mehrung der Profite der Kapitaleigner zur Verfügung stehen sollen, anstatt sich um ihre Blagen zu kümmern. Mit dem Kindeswohl hat das ganz gewiss nichts zu tun. Einen Grund, weshalb Gärtner das nicht ebenfalls scharf kritisiert, suche ich indes – nicht bloß in seinem Text – vergebens.

Letzten Endes ist das nichts anderes als die zeitgemäße Adaption des neofeudalen Konzeptes – bestens bekannt aus so illustren bzw. verkommenen Kreisen wie beispielsweise dem kaltherzigen, sich stets um ihre Kinder kümmernden Haus von der Leyen. Es gibt da nur den kleinen Unterschied, dass der gemeine Pöbel, zu dem selbstredend auch die sich, aus welchen Gründen auch immer, "elitär" wähnende Mittelschicht bzw. das "Bürgertum" gehört, heute natürlich keinerlei Einfluss mehr darauf hat, welche Ideale und Ideen den Kindern und Jugendlichen dort nahegebracht werden: Wenn eine Kita, eine Schule, ein Internat oder eine Uni viel Geld kostet, ist das für solche Leute schon ein ausreichender Beleg für die Qualität der Einrichtung. Wie dämlich das ist, fällt wohl nur den allerwenigsten auf – und auch das erst dann, wenn es längst zu spät ist.

Es ist schlimm genug, dass man in Kapitalistan seinen Kindern den Besuch der staatlich erzwungenen Schule und die damit verbundenen geistigen, emotionalen und sozialen Deformierungen nicht ersparen kann – zumindest in den wenigen Jahren davor sollte man sie diesem Terror aber doch bitte tunlichst nicht aussetzen. Was habe ich mir vor Jahren die Gosche fusselig geredet und dies und das und jenes getan, um meinen Töchtern den Weg zu einem sozialen Denken und solidarischen Leben zu ebnen. Die Erfolge sind zwar mäßig, aber beileibe auch nicht unsichtbar.

Ich lehne mich jetzt mal – ganz gegen den perversen Zeitgeist – weit aus dem Fenster und behaupte: Wer seine Kinder schon ab dem ersten, zweiten oder dritten Lebensjahr "fremdbetreuen" lassen möchte, ist ein ausgemachtes Arschloch, sofern keine anderen als "berufliche" Gründe genannt werden. Und wer seinem Kind den Kaputtalismus lehrt und ihm Egoismus (also Konkurrenz) einimpft, anstatt es humanistisch zu betreuen, sollte sich doch lieber einen devoten Köter zur Befriedigung seiner Krankheit zulegen.

Wer von "Elite" spricht, ist sich auch stets des "minderwertigen Lebens" sicher. Und das ist – wir wissen es alle und dennoch nennt es kaum jemand so – stumpfer Faschismus.

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Wölfe und Menschen

Eines Nachts, kurz nach zwölfe
(wo ist einerlei)
begegneten sich im Wald zwei Wölfe;
sie gingen still aneinander vorbei
und jeder dachte für sich:
Ein Wolf wie ich.

In derselben Nacht,
einerlei wo,
ging es zwei Menschen ebenso.
Kaum war der eine am andern vorbei,
hat jeder gedacht,
dass der andre ein Dieb oder Mörder sei.

Mir soll keiner mehr auf die Wölfe schelten:
sie lassen einander doch als Wölfe gelten.

(Rolf Mayr [1899-1961], in: "Der Simpl", Nr. 1 vom Januar 1947)

7 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

ach komm, bleiben wir einfach menschlich & vernünftig. solange kinder mit ihren eltern in mietwohnungen in mehrfamilienhäusern in siedlungen groß werden müssen und nicht einfach über den zaun zu den erdbeeren des nachbarkindes klettern können, und solange eltern ihren und ihrer kinder lebensunterhalt durch lohnarbeit sichern müssen, also solange wir in dieser spätindustriellen gesellschaft aufwachsern, so lange ist fußläufig erreichbare kita für alle notwendige infrastrukturmaßnahme!

altautonomer hat gesagt…

Drei Anmerkungen:

1. "Ist Ihr Haus eigentlich kindersicher?" "Nein, zwei haben es gerade noch reingeschafft.!"

2. Frage an die Elite-Eltern: "Wie alt sind Ihre beiden Kinden denn jetzt?" Mutter: "Der Jurist ist gerade eingeschult worden und die Ärztin ist in der gymnasialen Oberstufe."

3. Ich habe eigentlich nicht diese radiale Kritik an Kitas. Es gibt gute und schlechte. Was ich aber nicht verstehe, ist, dass sich manche berufstätige Frauen ein Leben ohne Kinder angeblich gar nicht vorstellen können, weil sie sich als Frau erst dann vollkommen fühlen. Da wird der Mann dann jahrelang mit dem Kinderwunsch vollgenöhlt. Ist das entzückende Baby dann auf der Welt, wird alles daran gesetzt, dass Kind weg zu organisieren, damit Mama wieder arbeiten gehen kann. Solche Kinder, die nur als Statussymbol geboren werden, tun mir leid.

Troptard hat gesagt…

Hallo Charlie,

"Bildung: Wer "Elite" sagt, meint Faschismus."

Eine gewagte Hypothese, finde ich. Was wohl belegt ist, dass die Faschisten ihre Volksgemeinschaft für ziemlich dumm und leicht manipulierbar gehalten haben.
Wahrscheinlich haben die sich richtig einen gefeixt, wenn "ihr Volksgenossen" aus ihren Hütten auf die Plätze gerannt sind, um ihren Arm nach dem Führer zu strecken oder den "Dummsprüchen" eines Göbbels gelauscht haben.

Ich persönlich würde noch unterscheiden zwischen Gesindel, das wäre dann die Mittelschicht, die sich zwanghaft vom Pöbel absetzen muss, von den Erfolglosen in unserer Gesellschaft.

Dann gebe ich zu Bedenken, dass es in unserer kapitalistischen Gesellschaft ein fortwährendes und ständiges Bemühen gibt sich permanent abzugrenzen, die eigene Bedeutung gegenüber anderen aufzuwerten, indem man andere abwertet. Und da finden sich ganz, ganz viele rationale Gründe, warum das notwendig ist. Und da ist man sich dann auch weitgehend einig: "Es geht wie immer um das Ganze."

Wo ich selbst bereit bin von mir zu sagen, ich stelle meine eigenen Interessen erstmal vorne an und der Rest ist mir erstmal egal, da höre ich dann wieder die Volksgemeinschaft an meiner Tür klopfen.

Wo wir uns unbedingt treffen, ist Deine Kritik an den Kinder-Aufbewahrungs-Stätten.
In Frankreich hat man diese Kitas (Maternelle- kommt von Mutterschule) gleich neben der Grundschule. Und wenn die kleinen Scheisser nicht mehr in die Windel machen, dann dürfen sie schon mal anfangen "spielerisch" zu lernen.

Diese ganze Prozedur wird schon während der Entbindung vorbereitet. Nach drei Tagen gibt es die erste Dreifach-Pflichtimpfung und der Mutter des Säuglings wird schon mal das Fläschen gebracht, die Brust gedrückt, um ihr mitzuteilen, dass das mit dem Stillen wohl nicht klappen wird, weil der Milchfluss unzureichend sei und das Stillen ohnehin nicht förderlich für die Entwicklung des Kindes ist.

Meine Beste hat das dann drei Jahre so durchgezogen und dem kollektiven Zwang widerstanden, ihr Kind doch endlich in eine Maternelle zu geben.

Charlie hat gesagt…

@ Anonym: Einspruch! Mit dieser Argumentation zementierst Du das kapitaistische Katastrophenmodell und sicherst der korrupten Bande gleichzeitig weitgehende Einflussmöglichkeiten auf die "Erziehung" der Kinder, die in diesem Fall eher "soziale Deformierung" heißen müsste.

Liebe Grüße!

Charlie hat gesagt…

@ Altauto: Kinder als "Statussymbole" sind in gewissen Kreisen gar nicht so selten - allerdings beschränkt sich das nicht nur auf Frauen. Es gibt reichlich Männer, die ebenso ticken und sich letzten Endes für die Kinder gar nicht weiter interessieren, sondern allenfalls noch damit protzen wollen, dass der Sohn oder die Tochter irgendwann "Karriere macht", also zur "Elite" gehört.

Liebe Grüße!

Charlie hat gesagt…

@ Troptard: Weshalb findest Du diese Hypothese "gewagt"? Gibt es denn eine andere, sinnvollere Erklärung für diesen "Elite"-Wahn, der seit zwanzig Jahren immer irrsinniger wird, nachdem zuvor eher das Gegenteil ("gleiche Bildungsmöglichkeiten für alle") zumindest propagiert wurde? Was sollte anderes hinter diesem furchtbaren "Elite"-Denken stehen als stumpfer Faschismus?

Die kapitalistischen Grausamkeiten der ständigen Abgrenzung und Konkurrenz, die Du erwähnst, sind ja ein weiteres Indiz für diese These. "Gleichwertige" Menschen müssen sich nicht abgrenzen - diejenigen, die sich für "wertvoller" als andere halten, indes schon. Letztlich läuft alles wieder auf das kapitalistische System heraus, das aus Menschen entstellte Monstren macht.

Ich formuliere es mal salopp: Dieser ganze elitäre Kackscheiß gehört aus meiner Sicht rückhaltlos entsorgt. :-)

Liebe Grüße!

Troptard hat gesagt…

Hallo Charlie,

was die Elitenbildung betrifft und wie sie wieder in die gesellschaftliche Debatte geworfen wird und bereits auch praktisch durch die Einrichtung von Eliteschulen, Elite-Universitäten, durch Zulassungsbeschränkungen und Studiengebühren umgesetzt,
hat für mich erstmal ziemlich wenig mit Faschismus zu tun, sondern mit der enormen Produktivkraftentwicklung und der Technisierung der Produktion, die nicht nur die Ware Arbeitskraft immer mehr überflüssig macht, sondern, sofern noch vorhanden, auf ein ziemlich anspruchsloses Niveau herunterdrückt.

Einerseits wird Arbeit immer anspruchsloser, Demenz möglicherweise ein Krankheitsbild durch geistige Unterforderung in der Arbeit und im privaten Leben, andereseits benötigen Entwicklung, Steuerung und Kontrolle der Produktion wissenschaftliche Kenntnisse, die für mich zwangsläufig eine neue Elite hervorbringen.

Es ist bestimmt kein Zufall, dass die geisteswissenschaftlichen Fächer an den Universitäten allenfalls noch eine Alibifunktion innehaben und durch naturwissenschaftliche Studiengänge verdrängt werden. Einige Naturwissenschaftler bezeichnen ihre Studiengänge inzwischen ja selbst als "Die Königsdisziplinen" und die ""Geisteswissenschaften als unnütze Laberfächer".

Also Sinnfragen dürfen inzwischen nicht mehr gestellt werden, weil der Sinn in der bürgerlichen Gesellschaft immer schon positiv vorausgesetzt wird. Sie definiert sich ja selbst über ihren Glauben an den stets voranschreitenden gesellschaftlichen Fortschritt.