Dienstag, 12. September 2017

Song des Tages zum Wahltheater: Füchschen




(Reinhard Mey [*1942]: "Füchschen", aus dem Album "Flaschenpost", 1998; Text nach Goethes Dichtung "Reineke Fuchs", 1830)

Hör, was der alte Reineke dir sagt:
Wenn auch nur der allerkleinste Zweifel an dir nagt,
Füchschen, glaub ihm nicht!

Hey Füchschen, siehst du Isegrimm, den Ehrenmann,
das noble Wams mit dem Designertüchlein dran?
Wie er so erdverbunden scherzt, bemüht, sich anzubiedern.
Wie er so freundlich tut, wie er so volksnah lacht,
wie er auf "Ich bin doch auch einer von Euch!" macht.
Der Isegrimm beginnt mich anzuwidern.
Hat er doch lange schon vergessen, wo und wer wir sind,
vor Geltungssucht zerfressen und vor Machtgier blind,
sieht er sich nur noch selbst, der aufgeblas'ne Gockel.
Der beim Försterball noch eben mit der Wölfin tanzt
und dreist schon hinterm Schuppen mit der Ziege ranzt,
will jetzt mit eit'lem Ehrgeiz auf den Sockel.
Du hast gesehn, wie Isegrimm die Treue bricht.
Und wenn er dir das Blaue vom Himmel verspricht:
Füchschen, glaub ihm nicht!

Hör, was der alte Reineke dir sagt:
Wenn auch nur der allerkleinste Zweifel an dir nagt,
Füchschen, glaub ihm nicht!

Und vor Schwarzkittel, Füchschen, nimm dich ja in acht!
Er heuchelt Demut, doch er schielt nach der Macht,
er täuscht und trügt mit frommen Redensarten.
Er predigt Wasser und trinkt selber Wein
und redet dir Schuld und Sünden ein
und wildert an der Brut im eignen Garten.
Immer salbungsvoll, immer verkorkst und geil,
sorgt sich der schlimme Finger um dein Seelenheil.
Sieh ihn selbstgerecht die teig'gen Hände reiben!
Er will dich eingeschüchtert und verschreckt und brav,
will dich als willenloses, stummes Schaf,
denn nur mit Ahnungslosen kann er's so bunt treiben.
Doch gleichviel ob der schmierige Wicht
dir Fegefeuer oder Paradies verspricht:
Füchschen, glaub ihm nicht!

Hör, was der alte Reineke dir sagt:
Wenn auch nur der allerkleinste Zweifel an dir nagt,
Füchschen, glaub ihm nicht!

Und Füchschen, hüte dich vor der Frau Gieremund!
Nur Gift und Geifer sprudeln aus ihrem Schlund.
Sie unterwirft sich hündisch und aus freien Stücken.
Mit ihrem immer gestrigen Gejaul
redet sie dem Pfaffen nach dem Maul
und fällt den eignen Schwestern in den Rücken.
Und meide klug den Bullenbeißer Rüsteviel,
seine Spießgesellen und sein Narrenspiel.
Wo du die witterst, musst du schlimmes ahnen.
Sie haben nie dem dunklen Bösen abgeschwor'n,
sie ziehen dir das Fell über die Ohr'n
und die alte Losung* steht noch auf ihren Fahnen.
Und wenn da einer von Ehre, Stolz und Pflicht,
von Vaterland und Gehorsam spricht:
Füchschen, glaub ihm nicht!

Hör, was der alte Reineke dir sagt:
Wenn auch nur der allerkleinste Zweifel an dir nagt,
Füchschen, glaub ihm nicht!

Ich bin ein alter Knochen und mein Fell wird grau,
ich kenn die Fallen und die Wolfseisen genau,
kenn die Schrunden und die Beul'n, wenn sie das Fell dir gerben.
Ich kann dich lehr'n, vor der kläffenden Meute zu fliehn,
die Kunst, den Kopf aus der Schlinge zu ziehn,
diesen Schlitz im Ohr, den kann ich dir vererben.
Lehr dich geschmeidig gehn, gegen den Wind,
lehr dich Worte, die wie giftige Köder sind,
dann werd ich lautlos seitwärts im Gebüsch verschwinden.
Dann halt die Augen auf, pass auf wie ein Luchs!
Wasch dich mit allen Wassern, kleiner Fuchs,
du musst allein die eigne Wahrheit finden.
Und wenn dann jemand aus dem Unterholz bricht
und die allein seligmachende Weisheit verspricht:
Füchschen, glaub ihm nicht!

Hör, was der alte Reineke dir sagt:
Wenn auch nur der allerkleinste Zweifel an dir nagt,
Füchschen, glaub mir nicht!

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*: In der Waidmannsprache: Kot

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(Zeichnung von Wilhelm von Kaulbach [1805-1874] zu Goethes "Reineke Fuchs", um 1840)

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