Pünktlich zum bevorstehenden "Reformationstag" – dem Höhepunkt der seit zehn Jahren [sic!] währenden und vom Staat mit dreistelligen Millionenbeträgen finanzierten "Lutherdekade" – haben die Macher des atheistischen Blogs Man glaubt es nicht einen hübschen Text veröffentlicht, in dem auf einen schon etwas älteren Beitrag zum Antisemiten, Frauenhasser und Obrigkeitsapostel Martin Luther eingegangen wird, der seinerzeit einen beachtlichen Shitstorm ausgelöst hat. Die AutorInnen verwenden hierfür den aus meiner Sicht nicht sonderlich gelungenen – weil allzu verharmlosenden – Begriff der "Schnullernazis" für jene fundamental-"christliche" Vollidioten, die ihren Nazi-Dreck hemmungslos ins Netz kippen und sich dabei des "göttlichen Beistandes" gewiss sind – aber das soll nun nicht weiter stören.
Ich zitiere aus dem Posting:
Okay, Luther war also wirklich ein Hassprediger, ein Vordenker für die Faschisten, der im "Dritten Reich" ausführlich gefeiert wurde. Wie äußern sich die Schnullernazis zu ihm? / "Luther war ein großartiger Mann. Heute bräuchten wir ihn – als Prediger gegen alles Linke, Zerstörende. […] Lieber noch die Ayatollahs als die linken Satanspäpste." / In einem anderen Kommentar sehnt sich ein Schnullernazi einen weiteren Hassprediger herbei: "Einen Luther bräuchten wir heute wieder: gegen Linke, Femastasen-Weiber und ausländische Invasoren." / Nicht nur Luthers Antisemitismus, sondern auch sein Frauenbild wird geteilt, es werden sogar biologische Ursachen für deren vermeintliche Unterlegenheit ermittelt: "frauen sind halt OHNE EIER GEBOREN, wobei man sich in dieser Situation schon eher einen ‚SAUDI-ARABISCHEN‘ Umgang mit Frauen wünscht, niemals das weibliche Geschlecht an irgendwelchen Machtpositionen zu setzen."
Und so geht das munter weiter. Hier findet sich fast jedes bornierte Klischee, das man rechtsradikalen Hohlbirnen – ob nun mit oder ohne pseudotheologischem Unterbau – gemeinhin zuordnet. Die Lektüre wäre sehr lustig, wenn sie nicht die böse Gefährlichkeit der Dummheit, die sich hier förmlich und äußerst bedrohlich manifestiert, so schauerlich illustrierte. Lest Euch das inklusive der Kommentare in aller Ruhe – sofern das Nervenkostüm das mitmacht – durch und beachtet auch das Ursprungsposting und die dort noch erhalten gebliebenen Kommentare. Dies sind Stimmen aus Deutschland im "Jahre des Herrn 2017", die unmittelbar erklären, weshalb Rassismus und Faschismus hier längst wieder eine heimelige, bis ins Knochenmark vergiftete Wohnstatt haben.
Mich erinnert das an meinen aussichtslosen Kampf, den ich vor Jahren mit Foristen (es waren ausschließlich Männer) des inzwischen zum Glück abgeschalteten Idiotenportals "kreuz.net" geführt habe. Dort posteten ebensolche – allerdings katholische – Nazihorden exakt denselben menschenfeindlichen Müll – bloß ohne Bezug auf Luther. Einige von diesen Gesellen belästigen mich per Mail auch heute – nach fast zehn Jahren – immer noch mit ihrer ewig gleichen braunen Kotze.
Wer nun einwendet, dies seien ja nur die "extremen Ränder" der Religioten, die man nicht weiter ernst nehmen müsse, sollte sich mit den entsprechenden Positionen der "christlichen" Parteien (CDU/CSU für die Katholen und die Grünen für die Evangelen) befassen – wobei ich damit nicht irgendwelche wohlfeilen Programme oder andere Druckwerke, sondern das konkrete Handeln meine. Anlässlich eines nicht weiter erwähnenswerten Besuchs in einem Gottesdienst erzählte mir noch vor einigen Wochen eine Pfarrerin mit belehrender Stimme von der Kanzel herab: "Wir Menschen sind alle Sünder, aber wir können etwas dagegen tun: Der Glaube ist der erste Schritt."
Yeah. Ich glaube inzwischen nur noch an den Untergang dieser Spezies und hoffe inständig, dass ich ihn nicht mehr persönlich erleben muss. Die Hoffnung darauf schwindet allerdings zunehmend.
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Passion 1932
(Zeichnung von Erich Schilling [1885-1945], in "Simplicissimus", Heft 52 vom 27.03.1932)
9 Kommentare:
"Ich glaube inzwischen nur noch an den Untergang dieser Spezies und hoffe inständig, dass ich ihn nicht mehr persönlich erleben muss."
Wenn irgendwie moeglich, mit Feuerwerk und Atompilzen, moecht ich den Tag mitm letzten Bier und nem fetten Joint geniessen wollen. Und die paar sich gegenseitig zerfleischenden Reichen in ihren Atombunkern grinsend bedauern. ... That'll be the Day!
Gruss
Jake
Hallo Charlie,
"Christentum und Faschismus" , da geht für mich schon Einiges zusammen. Mal unabhängig vom Judenhass eines Martin Luthers, an den die Nazis ja nur anknüpfen mussten. Die hätten sich ja sonst erst eine Ideologie erfinden müssen, eine jüdisch-bolschewistische, mit dem Ziel den deutschen gesunden Volkskörper zu vernichten.
Das, was Martin Luther in seiner mittelalterlichen Sprache so schön als Bedrohung der Menschheit und des Christentums ausgemalt hat, war für mich sehr stark dadurch motiviert, dass die Geldgier der Feudalherren und der Kirche selbst durch den Ablasshandel nicht zu stillen war.
Auf einer unserer Qual-Medien habe ich vor Kurzem gelesen, dass auch Martin Luther sich am Ablasshandel beteiligt haben soll, dass man seine Signatur unter so ein Papier gefunden hat.
Ziemlich durchgängig im Judenhass enthalten, der Hass und der Neid auf ein arbeitsloses Einkommen, was nur Juden durch Kredit und Zins erwirtschaften.
Als ich Deine Zitate mit den Kommentaren dazu gelesen habe ist mir aufgefallen, dass selbst die autoritärsten religiösen Regimes, jedes Kopfabschneider-Regime besser dabei wegkommt, als Kritik an der Religion und dann, wenn sie auch noch von "Ungläubigen" von links kommt.
Auch das für mich kein Zufall, sondern die Sehnsucht nach autoritärer Herrschaft. Und keinesfalls etwas, was nur rechte Gehirne antreibt. Der Flirt mit autoritären, religiösen Regimes ist auch unter Linken durchaus beliebt als Antiimperialismus unterdrückter Völker.
Deinen Abschluss zum Thema kann ich vollumpfänglich teilen, auch wenn wir hier wahrscheinlich als Untergangspropheten durchgehen.
Entschuldige, wenn ich das noch anknüpfe: Meine Beste macht mich täglich damit fertig, dass ich tägich an diesem widerlichen menschlichen Charakter teilhaben soll:
Da wird ein Hirsch, der, nach einer brutalen Treibjagd, auf ein Grundstück geflohen ist, mit Schlägen auf seine Nase und seinen Körper noch schwer von einem Jäger misshandelt, bevor er ihn erschiesst. Selbstverständlich hat er nicht die Erlaubnis und das Recht ohne Einwilligung des Besitzer in das Grundstück einzudringen.
Da Brunftzeit ist, ist das Fleisch von dem Tier nicht geniessbar und es wurde nur wegen seines Geweihs getötet.
Die Menschheit hat es wirklich weit gebracht! Was ich mir für die Menscheit wünsche, das behalte ich lieber für mich.
Liebe Grüsse!
Lieber Charlie,
mich hinterlässt Dein Beitrag mit gespaltenen Gefühlen. Denn das, was Du schreibst und kritisierst, würde ich auch unterschreiben. Die erwähnten Schnuller-Nazis sind schon eine arg groteske wie beängstigende Erscheinung. Und im Luther-Jahr scheint mir - soweit ich die öffentliche Debatte dazu überhaupt warhnehme - auch nur ein allzu schönes Bild von Luther gezeichnet zu werden.
Womit ich hadere ist der Ursprungstext von Manglaubtesnicht (MGEN), den Du verlinkt hast. Es ist nicht so, dass ich die dort geäußerten Kritikpunkte nicht auch sehe. Doch scheint mir die berechtigte Kritik dort mit dem gleichzeitig transportierten Subtext einen gehörigen Schuss in die Knie zu bekommen. Damit meine ich noch nicht die Religionskritik an sich, sondern das mal unterschwellig, mal explizit gemachte Bild, mit dem LutherianerInnen als verkappte Neonazis, Faschisten, Antisemiten usw. dargestellt werden.
Es hätte ja eine durchaus interessante und berechtigte Frage sein können, wie es Evangelinnen und Evangelen geistig auf die Reihe bekommen, einen weniger menschenfreundlichen Autor eine positive - christliche - Botschaft abzugewinnen. Dazu hätte aber differenziert werden müssen. Und das macht MGEN nicht.
Völlig außen vor bleibt z.B., dass in weiten Teilen des Ostens es gerade die Kirchen sind, die gegen Rechte mobilisieren. Der Jugendpfarrer König aus Nordhausen ist da nur ein schillerndes Beispiel. Schwerter zu Pflugscharen stand übrigens auch im evangelischen Kontext. Die ersten Beat-Konzerte fanden in der DDR ebenfalls in evangelischen Kirchen statt. Und selbst, wenn mensch nicht alles von ihm unterschreiben möchte, auf den Schorlemmer lass' ich nichts kommen - das ist m.E. einer der wenigen DDR-Bürgerrechtler, die auch heute noch dieses Prädikat zu Recht tragen.
Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich hätte auch eine ganze Menge an den Evangelinnen und Evangelen zu kritisieren. Die Käsmann geht mir mit ihrem moralisierenden Zeigefinger ziemlich auf dem Docht. Und zu Huber, der sich zu besten Agenda-Zeiten im neoliberalen Licht des protestantischen Geistes des Kapitalismus zu sonnen meinte, brauch' ich auch nichts weiter zu verlieren. Ich hätte es auch in Ordnung gefunden, wenn MGEN die Frage aufgeworfen hätte, wie evanglische Geistlicher oder Gläubige, die sich im Osten gegen Rechts engagieren, mit dem Antisemitismus von Luther umgehen. Ihnen aber unterschwellig selbst eine antisemitische Haltung zu unterstellen, das zeugt nur von einem undifferenzierten Hassbild. Und das sage ich als Konfessionsloser, der - wie gesagt - auch genügend Kritikpunkte an den Kirchen, Religionen usw. hat.
@ Arbo: Sowohl der Beitrag von Man glaubt es nicht (MGEN), als auch meine Bemerkungen dazu beziehen sich ausdrücklich auf die braunen Reaktionen, die im Beitrag zitiert werden - und nicht darauf, was einzelne oder auch mehrere VertreterInnen der evangelischen Kirche vor Ort tun. Ich habe, um das noch zu verdeutlichen, explizit auf meine Erlebnisse mit dem (inzwischen geschlossenen) katholischen Hetzblog "kreuz.net" verwiesen, um Missverständnisse dieser Art zu vermeiden.
Des weiteren finden sich bei MGEN zuhauf ähnliche Beiträge, denn die Damen und/oder Herren dort schreiben nicht erst seit gestern oder vorvorgestern unter anderem über dieses Thema, sondern bereits seit vielen Jahren. Entsprechende Verweise sind im verlinkten Text ja gesetzt. Weshalb Du in diesem Kontext trotzdem darauf hinweist, dass es in den Reihen der evangelischen Kirche selbstverständlich auch Leute wie den Herrn König und andere gibt, erschließt sich mir nicht. Man höre und staune: Sogar in der CDU soll es irgendwo den einen oder anderen Menschen geben, der sich für Flüchtlinge, für Homosexuelle oder gar für Arbeitslose einsetzt.
Es geht hier nicht um eine pauschale Verurteilung der evangelischen Kirche und all ihrer Mitglieder - es ist traurig, dass ich das wirklich schreiben muss, denn gerade Dir habe ich doch ein wenig mehr Lesekompetenz zugetraut. Du kannst sicher sein: Wenn ich über "die Kirche" einen generellen Beitrag schriebe, fiele der durchaus differenziert aus - und ich vermute, dasselbe gilt auch für die KollegInnen von MGEN.
Das ändert freilich nichts daran, dass ich den ganzen religiotischen, esoterischen Quatsch - und das betrifft nun wirklich nicht nur das Christentum - für eine perverse Geißel der Menschheit halte, die ich nur schallend auslachen kann. Allerdings hat das nichts mit diesem Posting zu tun. Der Unterschied zwischen "Religion" und "Kirche" ist Dir bekannt, denke ich.
Liebe Grüße!
Lieber Charlie,
alles klar. Der Punkt, warum ich das nochmal extra herausgestrichen habe, lag schlicht darin, dass ich den von Dir verlinkten Text gelesen hatte. Und der spitzte sich dann zum Ende hin so zu, dass mir das schlicht noch einmal auf den Nägeln brannte.
Ansonsten stimme ich Dir ja zu. Ich meine, ich habe es hier in Ösi-Land ständig vor der Haustüre: Groß auf das christliche Abendland verweisen, 'katholische' Werte hochhalten wollen, aber irgendwie die christliche Nächstenliebe am nächsten Stacheldraht-Zaun entsorgen. Was da an rechter Stimmung aufkocht, trotz Verweis auf 'christliche Werte', das passt auf keine Kuhhaut. Und da scheint sich evangelische Menschenfeindlichkeit nicht sonderlich weit weg von katholischer Menschenfeindlichkeit zu befinden. Nicht umsonst werden ja in Sachen manche Gegenden zum Saxonien Bible Belt gezählt: Da geht's derartig reaktionär zu, dass Du Dich über die Zustimmung zur AfD nicht wundern musst. (Das wäre übrigens auch mal ein Thema: Abgrenzung der Evangelen zu diesen evangelikalen Radikalen...)
LG
Arbo
@ Arbo: Entschuldige, ich wollte gar nicht so böse antworten.
Liebe Grüße!
@Charlie:
Kein Ding. :-)
Hier noch ein kritischer - wiewol älterer (18.07.2017) - Text zum Thema aus dem Tagesspiegel, der mit heute über den Weg gelaufen ist: Luthers böse Schriften.
LG
Arbo
Hallo Charlie, hallo Arbo,
was die Texte von Martin Luther betrifft, so habe ich die sehr umfangreich als Originaltexte in mittelalterlicher Sprache, für uns nicht unbedingt leicht verständlich zur Verfügung. Erster Band von Raul Hilberg "Die Vernichtung der europäischen Juden".
Die Texte sind so eindeutig und enthalten all die Stereotypen, die sich auch in unserer heutigen Zeit wiederfinden lassen, so das ich mich ernsthaft darüber wundere, dass es die evangelischen Kirchen noch immer nicht geschafft haben, sich von ihm zu distanzieren.
Aber er steht wohl immer noch für das/oder soll für das stehen, was auch heute noch positiv besetzt wird, für den Begriff: Reformierung. Obwohl die Glaubensgemeinschaften und ihre Kirchen für genau das nie eingetreten sind, sondern eher für das Gegenteil.
Für mich sind das eben die Anteile in Gesellschaften oder Gemeinschaften, egal ob religiös motiviert oder nicht, eben die barbarischen Anteile, die relativiert werden müssen, nicht "eigentlich" zu ihr selbst gehörig oder schlichtweg leugnend und gegen äussere Kritik als verleumderisch abgetan.
Es ist schon interessant, warum die bürgerlichen, warenproduzierenden Gesellschaften, ihre feudal-religiösen Anteile unbedingt bewahren wollen, und dies, obwohl die Kirchen und die Religion nicht unbedingt die gesellschaftlichen Einrichtungen sind, wo sich der moderne Mensch nur noch zu bestimmten Anlässen freiwillig hinbegibt.
Wahrscheinlich geht es um staatlich organisierte Sinnstiftung , wenn der Sinn des persönlichen Lebens immer mehr entgleitet.
@ Troptard: Ich vermute, dass es hier vielmehr - wie gewohnt - um Machterhalt und Ablenkung geht. In den öffentlich-rechtlichen Medien gab es dazu - passend zum Datum - einen aufwändig produzierten, natürlich teuren Spielfilm, den ich mir in der Mediathek angesehen habe: Dort sollte der "Wahrheit" Genüge getan und der Widerstreit zwischen Luther und Thomas Müntzer sowie die ambivalente Persönlichkeit Luthers illustriert werden. Herausgekommen ist aber bloß ein revisionistisches Machwerk, das mit der historischen Wirklichkeit so viel zu tun hat wie die Leere (extra ohne "h") von der flachen Erde mit der Physik.
Falls Du Dir das ansehen möchtest: Zwischen Himmel und Hölle. Viel Emotion, viel pseudointellektuelles Blabla und noch viel mehr Bullshit.
Ich persönlich halte das für ein letztes Aufbäumen der klerikalen Kreise - in wenigen Jahrzehnten wird sich das Thema der christlichen Kirchen in Deutschland erledigt haben. Das bedeutet aber nicht, dass der religiöse Wahn gebannt sein wird - denn es stehen genügend neue Kirchen in den Startlöchern, die schon längst ihre Schäfchen eingefangen haben, und die schlimmste darunter ist der Kapitalismus, der bekanntermaßen seit eh und je im Bund mit dem Faschismus steht. Es gibt aber genügend Alternativen, wie unsere esoterischen Freunde uns jeden Tag aufs Neue beweisen: Der Wahn wird also andauern.
Der lächerliche Hype um einen Luther und seine "Reformen", die ebenso wie die "Reformen" der neoliberalen Bande heutzutage gar keine Reformen waren, wird schnell vergessen sein. Das Prinzip aber wird beibehalten werden, da gibt es kein Vertun. Ein schönes, aktuelles Beispiel erlebst Du ja gerade in Frankreich: Wenn Macron und seine SpießgesellInnen nun Teile des "Ausnahmezustandes" in Gesetzesform gießen, "reformieren" sie nichts, sondern sie zerstören. Bewusst, mutwillig und sehr gezielt.
Gnade uns "Gott".
Liebe Grüße!
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