Donnerstag, 5. Februar 2015

Realitätsflucht (14): Venetica


Heute möchte ich auf ein Spiel aufmerksam machen, das meiner Ansicht nach - wie so viele andere - deutlich zu wenig Aufmerksamkeit erfahren hat. Es handelt sich um das Rollenspiel "Venetica" des deutschen Entwicklerstudios Deck13 aus dem Jahr 2009, das mich regelrecht begeistert hat. (Es folgen Spoiler - wer das nicht will, liest bitte nicht weiter.)

Der Spieler schlüpft hier in die Rolle der zunächst unbedarften Antiheldin Scarlett, die in einem unscheinbaren Bergdorf Italiens in einer für Fantasyspiele typischen mittelalterlichen Zeit ein beschauliches Leben führt. Bereits in der knappen, aber durchaus beeindruckenden Startsequenz des Spieles verliert Scarlett aber sowohl ihren Geliebten, der von fiesen Assassinen, die das kleine Dorf überfallen, gemeuchelt wird, als auch ihre Unbedarftheit. Fortan muss sie sich den immer größer werdenden Bedrohungen entschlossen entgegen stellen und erfährt von ihrer "Bestimmung".

Das klingt alles sehr klischeebehaftet und ist es auch - und trotzdem setzt das Spiel diese im Grunde alberne Geschichte vom einstigen Findelkind, das wohlbehütet in den Bergen aufwächst, eigentlich aber der Abkömmling eines fast allmächtigen Superwesens mit entsprechenden schlummernden Superfähigkeiten ist, so charmant um, dass ich nur allzu gerne bereit war, all diese storybezogenen Kröten leicht zu schlucken und mich stattdessen ganz dem Spielgenuss hinzugeben. Und der hat es wahrlich in sich - ich habe das Spiel inzwischen schon dreimal durchgespielt und bin mir sicher, dass der jüngste Durchlauf nicht der letzte gewesen ist.

Zur Geschichte muss ich gar nicht viel schreiben - der Weg führt die "Heldin", die gar keine sein will, aus den Bergen ziemlich schnell in eine Fantasy-Variante des mittelalterlichen Venedig - und es versteht sich von selbst, dass sie es auf diesem Weg mit recht unterschiedlichen Gegnern zu tun bekommt, die es mittels Schwert und/oder Magie zu besiegen gilt. Besonders hervorzuheben sind hier die einstellbaren, unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade - hier macht es nämlich tatsächlich einen großen Unterschied, ob man sich für "leicht", "mittel" oder "schwer" entscheidet. Auch auf dem leichtesten Level sind viele Kämpfe durchaus anspruchsvoll - ich habe es mir aber zum Ziel gesetzt, das Spiel irgendwann auch einmal auf dem Level "schwierig" zu absolvieren. Dafür muss ich wohl noch viel üben, fürchte ich. ;-)



Das grafische Design ist für das Jahr 2009 sehr ansehnlich - wenn man die Einstellungen entsprechend großzügig festlegt, gibt es hier aus meiner Sicht nichts zu bemängeln. Das gilt insbesondere für die vergleichsweise große (und auch belebte) Stadt Venedig, zumal diese durch die übliche Kanalisation, durch die man sich oft genug bewegen muss, ergänzt wird. Außerdem ist das Stadtzentrum, das im Spiel "Arsenal-Bezirk" genannt wird, gleich auf mehrere Ebenen verteilt - man muss also nicht nur in den Untergrund hinuntersteigen, sondern auch in die Höhe klettern. Dass die gesamte Stadt dabei gleich dreidimensional eher labyrinthartig aufgebaut ist und man sich erst nach und nach zurecht findet, macht das ganze noch reizvoller. Hinzu kommen versteckte Orte, die man nur durch die so genannte "Schattenwelt" erreichen kann. Letztere ist sowieso ein Highlight dieses Spieles - ab einem gewissen Zeitpunkt kann Scarlett nämlich, wenn sie in die "Schattenwelt", also ins "Reich der Toten", wechselt, mit den überall verstreut herumliegenden Skeletten, die ansonsten keinen Zweck erfüllen, kommunizieren - und so weitere Fähigkeiten erlernen, Schätze sammeln oder sogar Quests erhalten und erledigen.

Wie in Rollenspielen üblich, erfüllen auch hier die Dialoge einen wichtigen, oft genug auch sehr witzigen Part - die deutsche Sprachausgabe ist professionell umgesetzt und lässt kaum Wünsche offen. Auch gilt es für dieses Spiel den ersten Preis für in Rollenspielen verwendete Monsternamen zu vergeben: Die kleinwagengroßen Käfer in der Kanalisation heißen hier nämlich "Brackläufer". Bei meiner ersten Begegnung mit diesen possierlichen Tierchen musste ich so lachen, dass ich flugs das Zeitliche gesegnet habe (zwei Treffer dieser Biester reichen zu Beginn locker, um Scarlett ins Jenseits zu befördern).

Scarlett schließt sich während ihres Aufenthaltes in Venedig einer von drei "Gilden" an - jede zieht unterschiedliche Quests und erlernbare Fähigkeiten nach sich, wodurch ein erneutes Spielen noch reizvoller wird. Auch der Soundtrack ist durchweg gelungen.

Dennoch merkt man natürlich, dass dieses Spiel aus einem kleinen Studio kommt und nur ein vergleichsweise geringes Budget dafür zur Verfügung stand - das fängt bei der nicht vorhandenen Charakterauswahl an und endet nicht bei den im Spiel kaum vorhandenen neuen Rüstungen und den äußerst spärlich vorzufindenen neuen Waffen. Diese Liste könnte ich noch lang erweitern. Allein: Das stört alles nicht. Wenn es bespielsweise nur die Wahl gibt zwischen einer nur mittelprächtig effektiven Waffe, die sehr schnell ist, und einer sehr schweren Schaden verursachenden Waffe, die aber nur entsprechend langsam geschwungen werden kann, dann nimmt man eben beide mit und wechselt je nach Anforderung. Die Wahl hängt natürlich, wie gewohnt, auch mit den Fähigkeiten zusammen, die man im Laufe des Spieles erwirbt: Es gibt pro Stufenaufstieg verschiedene Fähigkeits- und Fertigkeitspunkte, die man einsetzen kann - die einen (Steigerung der Stärke, Konstitution, Weisheit und Intelligenz) kann man einfach so einsetzen, für die anderen (das Erlernen bestimmter Fähigkeiten) muss man einen Lehrer aufsuchen.

Was mich an diesem - wie auch an so vielen anderen - Spielen gestört hat, sind die bekloppten "Bosskämpfe". Die kann man nämlich auch hier nur dann gewinnen, wenn man schnell genug herausfindet, wie man den jeweiligen Gegner zu bekämpfen hat - sonst droht unweigerlich der virtuelle Tod. Ich finde dieses sich hartnäckig, sogar genreübergreifend haltende Konzept völlig bescheuert - es gibt schließlich genug andere Möglichkeiten, einen Kampf in einem Spiel anspruchsvoll und meinetwegen auch sehr schwierig zu gestalten, ohne dass ganz bestimmte Handlungen der Spielfigur, die meist mit bestimmten Tastenkombinationen verbunden sind, vorgeschrieben werden, ohne die ein solcher Kampf nicht zu gewinnen ist. Das ist allerdings ein "Jammern auf hohem Niveau" - wozu gibt es schließlich Spieletipps im Internet, anhand derer man sich schlau machen kann? ;-)

Abschließend möchte ich noch ein paar Hinweise für jene loswerden, die "Venetica" zum ersten Mal spielen und sich nicht komplett in unbekannte Wasser stürzen möchten:

  1. Auch wenn es anfangs nicht wichtig erscheint, sollte man zusehen, dass man stets genügend Lebensmittel (die wie "kleine Heiltränke" wirken) und vor allem jede Menge richtige Heiltränke im Gepäck hat. Auch wenn man diesen Kram stundenlang nicht einmal entfernt benötigt, wird unweigerlich der Punkt kommen, an dem man plötzlich den halben Vorrat aufbrauchen muss und nur dann weiterkommt, wenn man eben genügend davon mit sich herumträgt.
  2. Etwa in der Mitte des Spieles kann man in einem Laden (dem "okkulten Geschäft" im "inneren Bezirk") einen "Lebensring" erwerben, der endlich dafür sorgt, dass sich die Lebensenergie langsam von selbst wieder regeneriert. Dieser Ring ist extrem teuer - ich "besaß" beim letzten Spieldurchlauf zu diesem Zeitpunkt 12.503 Dukaten und musste 12.500 Dukaten für diesen Ring bezahlen - aber es lohnt sich. Neue Dukaten bekommt man relativ schnell - den Ring aber findet man im Spiel ansonsten erst sehr spät, nämlich wenn man sich mit einer Schatzkarte in Afrika auf die Suche begibt.
  3. Da es nur sehr wenige "gute" Waffen im Spiel gibt, sollte man immer, wenn man bei einem Händler eine solche entdeckt, sofort zugreifen - auch wenn das stets sehr kostspielig ist.
  4. Es ist sehr sinnvoll, alle Häuser, die sich betreten lassen (auch wenn dafür das Türschloss geknackt werden muss und eventuell ein Bewohner zunächst meckert) zu besuchen und zu erkunden. Die Gründe nenne ich hier jetzt nicht. ;-) Verschwinden sollte man erst dann möglichst schnell wieder, falls ein Bewohner ausdrücklich ankündigt, die Wachen rufen zu wollen - bis dahin ist das, zumindest was die Bewohner des Hauses betrifft, ungefährlich.

Die Spieleentwickler haben aber eigentlich schon dann alles richtig gemacht, wenn für einen Neustart der schnöde Wunsch ausreicht, die schummerige, heruntergekommene und anfangs schwer zu erreichende Taverne namens "Schädelbruch" hoch über den Dächern Venedigs erneut besuchen zu wollen, in der kontinuierlich dieses alte, wunderbar schwermütige Seemannslied, dessen Titel mir nicht einfallen will, gesungen wird. Das jedenfalls war meine Motivation, als ich das Spiel nach einer Pause von etwa einem Jahr zum zweiten Mal gestartet habe. Für mich ist "Venetica" das seit vielen Jahren unterbewertetste Spiel, das ich kenne - es macht einfach von vorne bis hinten einen Heidenspaß.




4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

das ist eins meiner lieblingsspiele, das lohnt sich nicht nur sondern ist ein MUSS für jeden rollenspieler! :-x meeeehr davon!

Charlie hat gesagt…

Ich schrieb das schon öfter: GEBT MIR TIPPS! :-) Welche Spiele soll ich ausprobieren? Ich kenne kaum welche, die sich wirklich lohnen.

algore85 hat gesagt…

Night of the Rabbit. Ein Adventure ala MonkeyIsland Da habe ich mitgearbeitet. Bin gespannt auf deibe

Charlie hat gesagt…

@ algore: Danke für den Hinweis - ich hab's notiert, auch wenn Adventures im Allgemeinen nicht gerade zu meinen Lieblingsspielen gehören und ich auch "Monkey Island" nicht kenne. Die Point-and-Click-Spiele, die ich hier bislang vorgestellt habe, sind eher durch Zufall sowie die frustrierende Tatsache auf meiner Liste gelandet, dass ich seit geraumer Zeit keinerlei Rollenspiele mehr finde, die mich interessieren. Das kannst Du aber natürlich nicht wissen.

Ein Highlight aus einem anderen von mir geliebten Genre, nämlich "Amnesia: The Dark Descent", habe ich auch erst ein eiziges Mal in etwa gleichwertiger Qualität entdeckt ("Outlast").

Anscheinend ist mein Geschmack (auch) in Hinsicht auf Computerspiele nicht so recht "marktkonform". ;-)

Trotzdem vielen Dank!