Mittwoch, 2. Februar 2011

Deutschland: So reich wie noch nie

Die Frohe Botschaft der "Allianz Global Investors" war selbst in Provinzblättern wie den Westfälischen Nachrichten (7.1.2011) zu lesen: 2010 seien die Geldvermögen hierzulande um 4,7 Prozent auf jetzt 4,88 Billionen Euro gestiegen. Das sei eine ähnlich positive Entwicklung wie schon 2009. "Jeder Bundesbürger hat knapp 60.000 Euro auf der hohen Kante – statistisch gesehen", wusste die Zeitung zu berichten. Gab und gibt es demnach gar keine Krise, weder im produzierenden und verarbeitenden Gewerbe noch gar im Finanzsektor, wenn doch die Geldvermögen gewachsen sind, und das offenbar Jahr für Jahr schneller? (...)

Ich kann in meinem Familien- und Bekanntenkreis von den durchschnittlichen 60.000 Euro Geldvermögen pro Familienmitglied wenig entdecken. Da scheint von den sagenhaften Zuwächsen nicht viel angekommen zu sein. Eher höre ich, dass das Geld – Löhne und Renten – knapper wird, weil die Preise zumeist weiter steigen: die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, die Fahrpreise, die Eintrittsgebühren fürs Schwimmbad und so weiter. Und wenn "Deutschland" die Krise "gemeistert" hat und sogar durch sie "gestärkt" sein soll, warum musste dann für die nächsten Jahre ein neues, riesiges "Sparpaket" beschlossen werden, mit drastischen Kürzungen der staatlichen Ausgaben vorwiegend im Sozialbereich? Warum können die Unterstützungssätze für Hartz-EmpfängerInnen nach Jahren ohne Inflationsausgleich nur um fünf Euro angehoben werden, warum muss ihnen das Elterngeld komplett gestrichen werden? Gehören "die da Unten" und "die in der Mitte" nicht mehr zu "Deutschland"?

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Anmerkung: Das ist ganz richtig erkannt: Deutschland im neoliberalen Sinne umfasst längst nicht mehr alle Bürger dieses Landes, sondern ausdrücklich nur noch die so genannten Leistungsträger - wobei aber auch hier Orwell'sches Neusprech die Szenerie beherrscht, denn wenn die neoliberale Bande von "Leistungsträgern" spricht, meint sie nicht diejenigen, die tatsächlich Leistungen erbringen, wie zum Beispiel all die Altenpfleger oder Krankenschwestern, die sich in ihrem Job aufreiben (im Gegensatz zu den "Parasiten" wie beispielsweise den Rentnern, Kranken oder Behinderten), sondern sie meint die Finanz"elite" - die Reichen und vor allem Superreichen. Deren Vermögen ist auch in den vergangenen Jahren selbstredend gewachsen - die "Bankenrettungen" in Milliardenhöhe haben's möglich gemacht.

Insofern verwundert es nicht weiter, dass in einem stetig reicher werdenden Land, wo sich der Reichtum auf wenigen privaten Konten konzentriert, während der Staat "verschlankt" (sprich: ausgeblutet) wird, für die große Mehrheit der Bürger kein Geld mehr da ist und man eben "sparen" (sprich: kürzen) und natürlich neue Schulden machen muss. Raten Sie doch mal, bei wem der Staat diese virtuellen Schulden, die in Wahrheit gar keine sind, macht? Richtig ... bei denen, die zuvor Milliarden Steuergelder in den Rachen geworfen bekommen haben.

Das ganze Szenarium ist dermaßen grotesk, dass man sich ernsthaft fragen muss, wieso hierzulande nicht auch Massen von Menschen auf den Straßen stehen, die diese Bande aus dem Land jagen wollen. Oder, wie der Autor des Artikels das formuliert: "Die Auswirkungen der weltweiten Großkrise des Kapitalismus konnten bisher fast ohne Gegenwehr den Armen und großen Teilen der Mittelschicht aufgebürdet werden. Die einen scheinen resigniert und gelähmt, die anderen rechnen wohl immer noch damit, dass sie irgendwann doch zu den Gewinnern gehören werden. Es herrscht Ruhe im Land, fast unheimliche Ruhe."

Derweil sitzen auch in Deutschland die Milliardäre in ihren Villen und Palästen und schauen grinsend dabei zu, wie Tag für Tag weitere Milliönchen leistungslos in ihre Geldspeicher fließen, während die Mittel- und Unterschichten wie Zitronen ausgepresst werden. Ja, Frau Merkel, das "Deutschland der Reichen" ist gestärkt aus der Krise hervorgegangen - kein Wunder, denn Sie und Ihre Kumpanen haben ja auch alles dafür getan, um das sicherzustellen - auf Kosten der übrigen Bevölkerung.

Und diesen statistischen Blödsinn, der da immer wieder in den Propagandablättern verbreitet wird, kann man bald nicht mehr ertragen ... jedes Grundschulkind kann nun nachvollziehen, dass es grober Unfug ist zu behaupten: "Wenn von zehn Personen eine Person zehn Grillhähnchen isst, haben statistisch gesehen alle zehn Personen jeweils ein Grillhähnchen gegessen." Und dennoch steht ein solcher hanebüchener Unsinn immer und immer wieder in diesen Blättern und wird im Fernsehen verbreitet. Meine neunjährige Tochter fragte mich anlässlich dieses Beispiels: "Wieso steht das denn dann in der Zeitung? Das ist doch Quatsch!" - Ich wusste keine Antwort darauf, die sie hätte verstehen können.

2 Kommentare:

demokratie-ist-wichtig.de hat gesagt…

Leider fällt es vielen Journalisten schwer, derart komplexe Zusammenhänge nachzuvollziehen :-)

Charlie hat gesagt…

Ja ja, die bösen Journalisten ... ;-) Ich glaube eher, dass es den allermeisten von ihnen sehr klar ist, was für einen Unfug sie da schreiben - dass sie aber keine andere Wahl haben, wenn sie ihren Job behalten wollen.

Ich glaube, es war Karl Marx, der mal gesagt hat: "Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein." Von dieser Erkenntnis sind wir leider weiter entfernt als jemals zuvor - die Presse ist längst zu einem Gewerbe verkommen, in dem es um Geld und nicht mehr um wahrhaftige Information geht.

Aber wem sage ich das ... ;-)