Samstag, 19. Februar 2011

"Teure Anarchie" - eine Groteske aus der FR

Es kommt sogar in Deutschland in Mode, den Staat zu verachten. Diese Haltung schadet uns politisch wie ökonomisch.

(Weiterlesen)

Anmerkung: Da erklärt uns also ein Germanistik-Professor in der Frankfurter Rundschau die Welt - vergisst oder unterschlägt dabei aber wesentliche Teile und kommt zu dem nur noch als hanebüchen zu bezeichnenden Schluss, diese "Staatsfeindlichkeit" der Bürger sei irgendwie "Anarchie". Die Haare sträuben sich beim Lesen in alle Richtungen - beispielsweise bei dieser Passage:

"In Deutschland grassiert seit Jahrzehnten eine rasant zunehmende Distanz zum Staat, die in blanke Verachtung, ja Bekämpfung alles Staatlichen umzuschlagen droht. Der demokratisch verfasste Staat mit seinen gewählten Funktionsträgern wird von vielen, gerade auch von eher bürgerlich gesonnenen Medien als der kleptokratische, einschränkende Feind wahrgenommen, den man in jedem Wortsinne schneiden darf. Dabei stellen sich seltsame Wahrnehmungsverzerrungen ein. Etwa die, dass der Staat immer übergriffiger wird. Das ist definitiv falsch. Der ehemals strenge Vater Staat ist durch und durch antiautoritär geworden. Er verzichtet seit langem auf die Diskriminierung privater Lebensformen, er ist im Begriff, die Wehrpflicht abzuschaffen, und er privatisiert ohne Unterlass (den Bahnverkehr, die Telekommunikation, die Bildung, die Sicherheit, die Müllabfuhr)."

Der Herr Professor vergisst dabei zu erwähnen, dass der Privatisierungswahn ein wesentlicher Teil der neoliberalen Ideologie ist, der seit Jahrzehnten von der Politik (meist wohlwollend und werbend begleitet von den Systemmedien) stoisch und gegen jede Vernunft verfolgt wird. Die Politik selbst - allen voran natürlich CDU und FDP, aber auch SPD und Grüne haben kräftig daran mitgewirkt - verkündet seit vielen Jahren die Mär vom "schlanken Staat" und hat in vielen Bereichen massive Deregulierungen eingeleitet. Allerdings betrifft das nur bestimmte Bereiche des Staates - nämlich genau die, in denen sich für Reiche viel Geld auf Kosten der Bevölkerung verdienen lässt. Entweder direkt (wie bei Privatisierungen aller Art, z.B. Telekom, Energieversorger, Riester-Rente u.v.a.), oder indirekt über wegfallende staatliche Kontrollen, Beschränkungen und gesetzliche Regelungen.

In vielen anderen Bereichen unseres Staates ist die staatliche Macht und Überwachung ("Regulierung") jedoch deutlich ausgebaut worden - Millionen von Hartz-Opfern, Asylsuchenden oder auch kritische linke Gruppierungen können ein Lied davon singen. Es ist an "Wahrnehmungsverzerrungen" kaum mehr zu überbieten, angesichts der staatlichen Drangsalierungen und fast gottgleichen behördlichen Allmacht im Hartz-System, der ständigen Aufrüstungen im polizeilichen und geheimdienstlichen Bereich oder des stetig steigenden Überwachungswahns davon zu reden, der Staat sei "durch und durch antiautoritär" geworden.

Vollends ins Aus katapultiert sich Prof. Hörisch aber, wenn er die "bürgerlichen" Reaktionen auf diese - ja für jeden wahrnehmbaren - Deformierungen und Lügen (sichtbar z.B. bei den S21-Protesten) als "anarchische Lust in bürgerlichem Gewand" missdeutet. Grotesker könnte man das nicht beschreiben - dieses Weltbild vom "antiautoritären Staat" und "anarchischen, staatsfeindlichen Bürger" ist so schrill und von der Realität so weit entfernt, dass an dieser Stelle schon wieder Orwell herhalten muss, um die Dimensionen der Realitätsverzerrung zu beschreiben.

Entweder lebt der Mann auf dem Mond und hat keine Ahnung von den Dingen, über die er zu schreiben versucht - oder er ist trotz des scheinbar kritischen, tatsächlich aber höchst absurden Fazits schlicht Teil der Nebelkerzenkampagne der neoliberalen Bande, die der Bevölkerung auch weiterhin einzureden versucht, die Entfesselung des Kapitalismus sei der einzige alternativlose Weg in die Zukunft. Oder welches andere Fazit könnte man aus diesem journalistischen Glanzstück aus der Germanistikecke sonst ziehen?

Keine Kommentare: