Samstag, 30. September 2017

Big Brother und das "Postgeheimnis"


In Zeiten der Totalüberwachung des digitalen Datenverkehrs aller BürgerInnen kann man schon auf den Gedanken kommen, es sei vielleicht doch sicherer, sensible Informationen, die den Staat nichts anzugehen haben, per Post zu verschicken, denn schließlich gilt in Deutschland ja noch immer das Brief- oder Postgeheimnis. Auch das ist allerdings ein Trugschluss, wie sich kürzlich beispielsweise bei n-tv nachlesen ließ:

Fast 1.500 Mitarbeiter der Deutschen Post helfen nach einem Medienbericht den Sicherheitsbehörden bei Ermittlungen gegen mutmaßliche Terroristen und Schwerverbrecher. Sie suchten Briefe und Pakete heraus, die an Verdächtige adressiert seien, händigten sie den Sicherheitsbehörden aus oder koordinierten die Maßnahmen vor Ort, schreibt die "Neue Osnabrücker Zeitung".

Dabei ging es im Jahr 2015 um "knapp" (also weniger als) 200 "Verdächtige", deren Brief- und Paketsendungen mithilfe der 1.500 Post-MitarbeiterInnen ausspioniert wurden. Das ist eine grandiose Effizienz, wie sie wohl nur von kapitalistischen Menschenfeinden und ähnlichen Widerlingen erreicht werden kann.

Dass es sich dabei aber keineswegs um einen neuen und erst recht nicht um einen zahlenmäßig geringfügigen Grundgesetzverstoß handelt, illustrieren zwei ältere Beispiele, auf die ich aus diesem Anlass erneut verweisen möchte:

  1. 2010: "Unter dem Titel 'Fünf Richtige für Ihre Briefe' soll – laut Mitteilung der [Bundesagentur für Arbeit] – die eingehende Post von der Deutschen Post AG geöffnet und digitalisiert und an die zuständigen Arbeitsagenturen und Familienkassen weitergeleitet werden."
  2. 2013: "Als es noch zwei deutsche Staaten gab, war in dem östlich gelegenen kein Brief und kein Telefongespräch vor der Neugier jener Behörde sicher, die dem Staat Sicherheit verschaffen sollte – obwohl doch in der Verfassung der DDR stand, das Post- und Fernmeldegeheimnis dürfe nicht verletzt werden. Nun wissen wir, es herrschte dort eine Diktatur, und die hat keine Scheu davor, staatliches, politisch motiviertes Unrecht zu tun. Wir wurden und werden auch belehrt: Exakt dies war der Unterschied zwischen dem Zustand im Osten und dem im Westen Deutschlands, wo niemand um eines seiner Grundrechte fürchten musste. War es so? Nicht in der historischen Wirklichkeit. Das ist nun in aller Gründlichkeit nachgewiesen in einer Studie von Josef Foschepoth (Universität Freiburg / Br.) unter dem Titel 'Überwachtes Deutschland'. Deren Gegenstand ist die Alt-Bundesrepublik, vor allem in den Jahren 1949 bis 1968. Durch einen Zufallsfund im Bundesarchiv ist der Verfasser zu seinem Thema gekommen, etliche Jahre hat er dann dransetzen müssen, um in allen möglichen Ministerien und Ämtern jene kilometerlangen Aktenbestände zu sichten, die den Vermerk 'VS' trugen, was 'Verschlusssache' heißt; bis zu seinem Vorstoß in die Archivkammern waren sie geheim geblieben. Foschepoth ist immer noch verblüfft über seine Entdeckungen, aus denen er das Resümee zieht: 'Seit Gründung der Bundesrepublik wurden jährlich Millionen von Postsendungen kontrolliert, geöffnet, beschlagnahmt, vernichtet oder in den Postverkehr zurückgegeben. Ebenso wurden Millionen von Telefongesprächen abgehört, Fernschreiben und Telegramme abgeschrieben und von den Besatzungsmächten und späteren Alliierten, aber auch von Westdeutschen selbst zu nachrichtendienstlichen beziehungsweise strafrechtlichen Zwecken ausgewertet und genutzt ... Diese Überwachungspraxis widersprach klar und eindeutig den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Bestimmungen.'"

Die grundgesetzwidrige Überwachung des Internets ist also die stringente Fortführung des im "freiheitlich-demokratischen" Westen schon immer praktizierten Staatsterrors, den man medien- und öffentlichkeitswirksam aber stets nur dem "kommunistischen" Feind vorwarf. Heute haben sich die Zeiten gewandelt – und es gehört inzwischen zum "freiheitlich-demokratischen" Grundverständnis Kapitalistans, die staatliche Überwachung nicht mehr nur heimlich zu praktizieren, sondern auch ganz offen zu fordern und zu fördern.

Drum merke, du deutsches Schaf: Wer Geheimnisse hat, macht sich verdächtig. Wer verdächtig ist, ist ein "Gefährder". Und wer ein "Gefährder" ist, gehört eingesperrt oder abgeschoben. Die kapitalistische Bande denkt schließlich nur an dein Wohl. – "Quoth the raven, 'Nevermore.'" (E.A. Poe)


1 Kommentar:

Fluchtwagenfahrer hat gesagt…

Moin Charles,
das bist du aber den Märchenerzählern ganz schön auf den Leim gegangen.
Im GG Art. 10 Satz 2 ist es eindeutig geklärt.
Die dürfen das, hat wie damals bei der Präambel des GG keine Sau gelesen.
Es gab mal bei der "Anstalt" 2016 einen recht guten Beitrag dazu, es gibt noch weiter Abkommen mit den Alliierten (USA), in denen die Bananrepublik die unveräußerlichen Rechte ihre Bürger einfach abgetreten haben.
Der olle Orwell käme aus dem Staune nicht mehr raus.
LG