Es ist wieder einmal Zeit für eine wilde Flucht aus der bösen Realität, die immer bizarrer und unerträglicher wird. Mein heutiges Ziel ist erneut die Spielwelt von "BioShock": Es geht um den dritten und bislang letzten Teil des Werkes, das vom amerikanischen Entwicklerstudio "Irrational Games" entwickelt und im Jahr 2013 veröffentlicht wurde (über den zweiten Teil habe ich vor knapp zehn Monaten berichtet), nämlich um "BioShock Infinite".
Um eine "richtige" Flucht handelt es sich hier allerdings nicht, denn auch dieses Science-Fiction-Spiel bezieht sich inhaltlich auf die heutige Zeit, ganz gemäß der groben literaturwissenschaftlichen Definition:
"Science Fiction [in ihrer nicht rein auf kommerzielle Interessen ausgerichteten Form, Anm.d.Kap.] entwirft keineswegs Zukunft, sondern Alternative; sie springt in die andere Wirklichkeit und meint nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart." (Dieter Wuckel: "Science Fiction. Eine illustrierte Literaturgeschichte", 1986)
Zur Geschichte möchte ich aus Spoilergründen nicht allzu viel schreiben. Anders als in den ersten beiden Teilen spielt man hier einen typischen Antihelden – den Herrn Booker DeWitt –, der sich 40 Jahre vor den Ereignissen in den Vorgängerteilen aus zunächst mysteriösen Gründen aufmacht, eine junge Frau namens Elizabeth aus der "fliegenden Stadt" Columbia zu befreien, wo sie gefangen gehalten wird. Wie auch zuvor entblättert sich die Geschichte im Verlauf des Spieles nur langsam – und auch nur dann, wenn man Augen und Ohren offenhält, sich in der Spielwelt aufmerksam – auch abseits des meist vorgezeichneten Weges – umschaut und all die Ton- und Bildaufzeichnungen, die sich überall finden lassen, aufmerksam anhört bzw. anschaut. Es geht – und das ist nicht übertrieben oder überinterpretiert – um die Geißel des Kapitalismus', um religiösen Wahn, Nationalismus, Rassismus und dumpfen Faschismus. Dieses unappetitliche, tiefbraune Szenario wird extrem anschaulich und unmissverständlich am Beispiel eines ins Extreme bzw. Absurde überzeichneten "American Exceptionalism" – also der in den USA bis heute weit verbreiteten Vorstellung von der "Einzigartigkeit der amerikanischen Nation" [*glucks*] – dargestellt.
Dabei ist die Überzeichnung – beispielsweise bezüglich des religiösen Fanatismus' oder des Rassismus' – heute erschreckenderweise gar nicht mehr so realitätsfern, und das bezieht sich keineswegs bloß auf die USA.
Diese Geschichte, die dieses dramaturgisch vorzüglich inszenierte Spiel erzählt, ist ein wirkliches Highlight aus der kompletten, genreübergreifenden Branche. Dennoch bleibt das Werk weit hinter seinen Möglichkeiten zurück, denn letzten Endes bleibt es ein "Shooter", wenn es auch angereichert ist durch einige (wenige) Rollenspielelemente. Neben der Geschichte und dem grafisch entwaffnend gut umgesetzen Szenario der "fliegenden Stadt" besteht der Großteil des Spieles nach wie vor daraus, mithilfe verschiedenster Waffen, Spezialfertigkeiten und taktischer Vorgehensweise haufenweise Gegner niederzumetzeln, ohne dabei selber ins Gras zu beißen. – Was für ein wegweisendes Spiel hätte "Infinite" werden können, wenn die Entwickler sich dazu entschlossen hätten, stattdessen ein tiefsinniges Rollenspiel ohne dauerndes Herumgeballere daraus zu machen!
Die Atmosphäre einer amerikanischen Stadt aus dem Jahr 1912, die sich dank "moderner Technik" vom "ketzerischen, liberalen und demokratischen" Rest der USA in die Wolken verabschiedet hat, um dort das kapitalistische, gottgewollte Paradies der weißen Herrenrasse zu errichten, ist jedenfalls perfekt umgesetzt worden. Ich wüsste nicht, wie man das noch besser machen könnte. Dazu zählen neben der Architektur und all den kleinen und großen Details – wie beispielsweise Schallplatten statt Tonbändern, die es 1912 in der bekannten Form noch gar nicht gab – auch die Musik, die ganz im Zeichen des ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts (in den USA) steht. Ein Beispiel:
Einen weiteren Kritikpunkt will ich nicht verschweigen: Man merkt dem Spiel an allen Ecken und Enden an, dass es für die Konsolenpest konzipiert bzw. optimiert wurde. So gibt es kein wirkliches Inventar, keine Karte, die Steuerung per Maus und Tastatur ist extrem eintönig und wenig intuitiv, die eingeblendeten Symbole sind so groß wie Mühlräder (auf dass man sich als Spieler wie ein infantiler Hampelmann fühle), und vor allem gibt es nicht nur keine Schnellspeicherung, sondern überhaupt keine freie Speichermöglichkeit mehr: Man muss also warten, bis das Spiel automatisch einen "Sicherungspunkt" anlegt, bevor man es beendet – ansonsten darf man bei der nächsten Spielsession wieder beim letzten erreichten Punkt beginnen. Was treibt Entwickler dazu, einen solchen Mumpitz auch für den PC zu kreieren? Die Konsolenkacke ist eine wahre Seuche.
Dafür lief "Infinite" auf meinem Win7/64-System völlig stabil und ohne jeden Absturz. Bugs sind mir nicht aufgefallen. Die deutsche Sprachausgabe ist professionell und ohne jeden Makel – dass sich die optional einblendbaren Texte gelegentlich vom gesprochenen Wort unterschieden, kann man leicht verschmerzen. Leider ist das Werk genretypisch sehr kurz: Selbst ein "Alles-Erforscher" und Langsamspieler wie ich hatte es in weniger als 30 Stunden durch.
Das Ende der Geschichte – manch einer mag sich fragen, wieso DeWitt angesichts dieser Abbildung ein "Antiheld" sei – verliert sich leider in allzu peinlichen, fast schon absurden SF-Klischeegefilden, die dem brisanten Thema und seiner Auflösung gekonnt ausweichen (was auch schon beim ansonsten so grandiosen "The Moment of Silence" der Fall war). So ein alberner Schluss verdirbt so vieles. Da hat wieder einmal der "Markt" bzw. der angestrebte Profit seinen Duft hinterlassen und vieles zerstört. Man vergleiche dazu einmal den offiziellen, ganz oben eingebetteten Trailer zum Spiel mit dem älteren Gameplay-Trailer aus dem Jahr 2012, bevor das Spiel veröffentlicht wurde (siehe unten): Nahezu keine der dort so wunderbar ausgewalzten systemkritischen Szenen hat es ins fertige Spiel geschafft. Hier war offensichtlich ein (vermutlich kapitalistisch motivierter) Zensor am Werk:
Es gibt (meinens Wissens) drei Addons zu diesem Spiel, von denen ich jedoch nur eines gespielt habe, nämlich "Seebestattung" ("Burial at Sea", zwei Episoden). Hier verschlägt es den Spieler wieder in die aus den ersten beiden BioShock-Teilen bekannte Unterwasserstadt "Rapture", was zwar für viel nostalgischen Flair sorgt, ansonsten aber wenig erwähnenswert ist: Dort geht es nur noch um Ballerei, während das Unterwasser-Szenario zur bloßen Kulisse verkommt. Eine tiefgründige Geschichte sucht man hier vergebens.
Als Resümee kann ich festhalten: "BioShock Infinite" erzählt eine hochaktuelle, beklemmende dystopische Geschichte, kleidet diese jedoch in ein allzu oberflächliches, manchmal gar infantiles Gewand, das dem Thema nicht gerecht werden kann. Damit steht es auf derselben, leider wenig erbaulichen Stufe wie "The Last of Us" (das ich mangels Konsole nicht selber gespielt, sondern nur teilweise angesehen habe). Einen zweiten Durchlauf habe ich vor einigen Wochen nach der Hälfte des Spieles abgebrochen, weil ich die Geschichte schon kannte und mir das ständige, stumpfsinnige Ballern schlicht langweilig wurde.
---
Bonmot am Rande, zitiert nach Wikipedia:
Im Dezember 2013 verwendete die der US-amerikanischen "Tea-Party"-Bewegung nahestehende "The National Liberty Foundation" ein Artwork des Spiels, u.a. mit der Inschrift "For God and Country – It Is Our Holy Duty To Guard Against The Foreign Hordes", als Ausdruck ihrer Ablehnung von Zuwanderung. Das Artwork dient im Spiel zur Illustration der rassistischen Einstellung der Gründer und wurde mancherorts auch als karikative Anspielung des Entwicklerteams auf die "Tea Party" interpretiert. 2014 verwendete der konservative US-Fernsehsender "Fox News" das Logo-Artwork von "BioShock Infinite" mit dem Schriftzug "Defending the Homeland" zur Illustration eines Interviews mit dem texanischen Gouverneur Rick Perry, unter anderem über das Thema illegale Einwanderung. Levine [einer der Entwickler des Spiels, Anm.d.Kap.] bezeichnete die Verwendung des Logos in diesem Zusammenhang als Ironie.
7 Kommentare:
Um dich, wirklich seltenst/nahezu niemals, daran zu erinnern ... mit dem durchaus unfairen Hinweis, dass du mal aehnlich veranlagt warst, .... I don't give a Fuck about this Shit.
Wobei es uns nichtmal inevitably annaehernd gegeben/moeglich ist uns darueber auseinanderzusetzen.
Well, ... still fuck you about this fuckin Shit .... my ansonsten dear Buddy ;-)
Als Adventure wäre das ein deutlich besseres Spiel geworden. Gerade im letzten Drittel ballert man gefühlt ganze Hundertschaften nieder. Nicht nur, dass das strunzdumm und langweilig ist, es zerstört auch die Immersion und Glaubwürdigkeit der Welt. Ständig fallen Horden von freiwilligen und strunzdummen Honks vom Himmel. Da man aber unbedingt das Ende sehen wollte, hat man sich da durchquält. Auch Elizabeth war super.
@ Jake: Wenn Du meinst, mich deswegen ficken zu müssen, darfst Du das gerne tun. ;-) Das wird mich indes nicht daran hindern, auch weiterhin gelegentlich in virtuelle Welten zu flüchten, um dort von der weitaus schlimmer gefickten bzw. fickenden Realität ein wenig zu gesunden. :-) Ob das nun eine Sinfonie, ein Buch, eine Kunstausstellung, ein Film, ein Computerspiel, ein Besuch in der Einsamkeit des Waldes oder ein Metalkonzert ist, bleibt doch eher irrelevant, oder?
Abgesehen davon: Wärst Du mein Nachbar, hätte ich Dich längst mit dem Virus infiziert - da bin ich ziemlich sicher. ;-)
Liebe Grüße!
I'll fuck you anyways, whenever you (don't) want me to. ;-)
"Wärst Du mein Nachbar, hätte ich Dich längst mit dem Virus infiziert - da bin ich ziemlich sicher. ;-)"
Ausgeschlossen! Da sind schon viele gescheitert. Selbst meine Mutter nannte mich gleich nach der Geburt und die folgenden 44 Jahre Dickkopf. Dabei haelt sich Prinzip und Bereuen die Waage.
Gruss
Jake
Ganz vergessen ... fuck Epikur&Co too! ... und ganz brutal verschlagen war natuerlich auch der ruehrende, verschlagene Vergleich zu -eine Sinfonie, ein Buch, eine Kunstausstellung, ein Film, ein ********spiel, ein Besuch in der Einsamkeit des Waldes oder ein Metalkonzert-
Da sammelst du fuers Ficken ausschliesslich Pluspunkte.
Gruss
Jake
Da trifft es sich ja ganz gut, dass ich in meinem gesetzten Alter fürs Ficken nur noch ein sporadisches Interesse hege. ;-)
Liebevolle Grüße!
P.S. @ Epikur: Der meint das nicht böse.
"sporadisches Interesse"
Ich gebs nicht gerne zu, also erzaehls niemand, dass Ficken auch nicht mehr auf meiner Prioritaetenliste zu finden ist.
Waere mein Kleiner nicht, ueber den ich, wenn auch sporadisch, sozialisieren muss, waere ich laengst auf der Insel.
Gruss
Jake
Kommentar veröffentlichen