Mittwoch, 18. August 2010

Denunziationen in Deutschland: Das Dritte Reich lässt grüßen

Die Fakten vorweg, nachzulesen im Göttinger Tageblatt und in der Online-Ausgabe von taz-nord vom 21. Juli: Ein anonymer Anrufer meldet sich im April beim Göttinger Sozialamt mit der Verdächtigung, eine ALG-II-Bezieherin halte sich gar nicht in ihrer Wohnung auf, sondern bei ihrem Freund. Folge: neun Tage später schwärmen Mitarbeiter der Stadt und des Landkreises Göttingen aus, um [in] der Nachbarschaft der Frau weitere Informationen zu beschaffen. Ergebnis dieser Befragungsaktion: kein Arbeitslosengeld mehr für die Erwerbslose. Die Betroffene wird von alldem nicht einmal vorher informiert oder zu der Denunziation des anonymen Anrufers befragt. (...)

Was ist von einem Land zu halten, in dem dieses schon wieder möglich ist: durch bloße Denunziation – anonym zudem – mehrere Dienststellen zu veranlassen, einfach mal so dem Denunzianten zu glauben, einfach mal so der Betroffenen den Anspruch auf rechtliches Gehör vorzuenthalten, einfach mal so der Erwerbslosen ihre materielle Existenzgrundlage zu entziehen? Was ist von einem Land zu halten, wo es erst des energischen Einschreitens eines mutigen Anwalts bedarf, den Rechtsstaat im vorliegenden Fall wiederherzustellen? Und: wo passiert Gleiches in diesem Lande noch - und wir alle erfahren lediglich deshalb nichts davon, weil es dort solche Rechtsbeistände nicht gibt, oder die betroffenen Menschen - eh schon zermürbt von 5 Jahren Hartz-IV und 5 Jahren Hartz-IV-Hetze gegen diese "Schmarotzer" und "Parasiten" - trauen sich gar nicht mehr, weil sie dem Staat nicht mehr trauen? Weil sie kaputt sind vom ewigen Kleinkrieg mit den Sozialbehörden, weil sie sich aufgegeben haben?

(Weiterlesen)

Anmerkung: Genau darauf ist dieses perfide Hartz-System doch angelegt. Es soll die Menschen zermürben, es soll sie widerspruchslos alle Schikanen ertragen lassen und möglichst aus dem Leistungsbezug drängen, und natürlich soll es auch das Denunziantentum fördern. Das liegt auf der Hand, und an vorliegendem Beispiel wird ja auch deutlich, dass die Behörde genau nach diesen Zielgebungen gehandelt hat.

In einem Punkt muss ich dem Verfasser des Artikels aber widersprechen, nämlich wenn er feststellt: "Sie [die verantwortlichen Politiker] scheinen es verlernt zu haben, in die Geschichtsbücher zu schauen – und in den Spiegel!" Es ist doch weitaus schlimmer. Sie kennen die Geschichte und ihr eigenes Antlitz im Fratzenspiegel sehr wohl - tun diese Dinge aber trotzdem. Anders ausgedrückt: Sie wissen, was sie tun.

Das jedenfalls gilt für die verantwortlichen Politiker, die dieses faschistoide System ersonnen (= in den USA abgeguckt) und umgesetzt haben und es heute zementieren. Ob jeder ARGE-Mitarbeiter auch genau weiß, was er tut, sei einmal dahingestellt - mir persönlich sind da nicht wenige Fälle bekannt, in denen existenzielle Entscheidungen in den ARGEn von Leuten getroffen werden, die weder die nötige Reife oder Kompetenz, noch die nötige Intelligenz besitzen, um so etwas tun zu können. Ob auch das reiner Zufall ist - genauso wie die Tatsache, dass viele dieser Personen selbst nur ein befristetes Arbeitsverhältnis haben, das sie dazu zwingt, im Sinne des Dienstherrn zu handeln?

Das soll nun wirklich kein "Freibrief" für ARGE-Täter sein. Aber es ist bezeichnend, dass genau an den Stellen in den Behörden, die quasi über "Leben und Tod" der ihr anvertrauten Bürger zu entscheiden haben, gerade keine besonders gut ausgebildeten, erfahrenen Menschen eingesetzt werden, sondern oft sehr junge und befristet Angestellte. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

17 Kommentare:

jakebaby hat gesagt…

"Anders ausgedrückt: Sie wissen, was sie tun."

Das ist so ziemlich die realuebelste Erkenntnis, wenn man Es denn erkennen kann, mag'moechte, ... oder auch nicht.

Die betruegerischste Kampagne, zu Gunsten dieser sogenannten Politik, ist, dass 'Die "was falsch machen", gar "dumm sind", "auch nur 'Menschen die Fehler machen", "unfaehig", ......

Ich denke, du wuerdest dir auch wuenschen, dass Millionen von Menschen Morgen aufwachen und diese ganze Missaere nicht mehr als hinzunehmbare Entwicklung sondern als extrem umfangreich, zielgerichtete Intention wahrnehmen.

Utopische Tagtraueme in der Matrix. :-)

Gruss
Jake

PS. Zur "bloßen Denunziation"
Von da aufwaerts gestatte ich dir zustimmend das 'faschistoide System'.
Das nenne ich schon, seit der erfahrenen Furcht davor, das drittreichige Ortsgruppenfuehrer-Syndrom. Ist im zivilwirtschaftlichen Mobbing schon lange Gang und Gebe. Und kommt jetzt unweigerlich in anderen Bereichen in Mode.
Wenn "Unten nach Unten tritt", wird es Zeit zum Auswandern.
Ich hab schon einige Antraege auf anderen Planeten gestellt. Keine Chance. ... Die meiden Menschen wie die Pest!!

Gruss
Jake

Charlie hat gesagt…

Du hast vollkommen recht - ich habe mich schon so oft maßlos darüber geärgert, wenn wieder in irgendeinem Zeitungs-Kommentar von "handwerklichen Fehlern" oder "unausgegorenen Rezepten" und derlei weiterer Unsinn zu lesen war. Das Gegenteil ist doch klar erkennbar der Fall: nämlich die Umsetzung eines perfiden Konzeptes - Schritt für Schritt.

Auswandern ist ein schönes Stichwort ... man fragt sich nur, wohin? Ich glaube, ich lasse mich zum Mond schießen.

Mrs. Mop hat gesagt…

Da würde ich an deiner Stelle noch drei Tage warten, weil, dann ist Vollmond, dann hast du dort viel Platz und es ist schön hell, so dass du die ganzen Mondkälber gut sehen kannst, die kannst du dann erlegen und dir jeden Tag eine leckere Kalbshaxe braten.

Falls du denkst, ich spinne: Ich komme gerade von Kuba zurück, sitze auf dem Balkon und glotze (musik)besoffen in den fetten Mond und finde das Leben schwer in Ordnung ;).

Charlie hat gesagt…

Ob Vollmond oder nicht - ich gehöre so oder so auf die dunkle Seite des Mondes. Dann muss ich auch die Erde mit all ihren urlaubenden und das Leben schwer in Ordnung findenden Sonnengemütern nicht sehen. ;-)

Mensch, ich wollte heute doch wieder etwas Apokalyptisches in meiner "dunklen Hafenkneipe" posten, und Du grätschst jetzt mit Deinem Positivismus dazwischen ... schäm Dich! :D

Mrs. Mop hat gesagt…

Pah - und was machst du, wenn dein Mond untergeht, du dunkler Mann im Mond?

http://www.youtube.com/watch?v=UGXIJOtV9Tk

Na?? Dann gehste zum Schlecker und kaufst dir was mit Extra-Sonnenschutzfaktor :).

Charlie hat gesagt…

Wenn Du mich noch einmal mit so gruseliger Musik erschreckst, hetze ich Dir die Jacob Sisters auf den Hals - mein Ehrenwort. ;-)

Gibt's schon einen Schlecker auf dem Mond? Wow ... der Mann ist ja ein noch größerer Ausbeuter als ich dachte.

Mrs. Mop hat gesagt…

Nu, da wollmer abor mol ni gleisch übertreim, newor...hab' das doch nur gut gemeint (schrecklich, newor? Das sind die schlimmsten Vergewaltiger, die es gut mit einem meinen...), nicht dass du aus Versehen auf der hellen Seite des Mondes landest (die gibt's, ich schwöre es dir!) und vor lauter Depression ins All fällst.

Selbstverständlich ist die lunare Schleckerfiliale auf der hellen Seite des Mondes, was für eine Frage. Halt dort, wo die Sonne hinscheint. Damit man ihn auch sieht. Denn die anderen, die im Dunkeln, soll man ja gar nicht sehen...;)

jakebaby hat gesagt…

Total missverstanden.
PLANETEN, .... nicht haesslichste Trabanten, die zuzueglich schon 'unser Mond, Amiflagge' von menschlicher Unnatur heimgesucht wurden.

Nur ein Beispiel: Jeglichste Arbeit vollautomatisiert, equale Verteilung der Profite. Strandhaus/etc., Cocktails, Bar-BQ, und sonstiger Fun. Jeglichste Bedenken schliesse ich grosszuegigst aus, da auch ansonsten Alles optimal laueft. ..... Womit ich dann widerum der menschlichen Natur widersprechen wuerde, was mir da 'Draussen keiner abnimmt wodurch meine Antraege abgelehnt werden. .... Was ich, der 'menschlichen Geschichte halbwegs bewusst, durchaus verstehe.
Human Nature ist zumeist nicht komplimentaer gemeint.

Gruss
Jake

Charlie hat gesagt…

@ Mrs. Mop:

Sag mal, lebst Du in Sachsen? *g* Da tun sich ja Abgründe auf ... - Aber zum Thema Mond muss ich dann doch mal ein bisschen klugscheißen: Bekanntlich gibt es eine der Erde zugewandte und eine der Erde abgewandte Seite - und die tauschen nie die Plätze. Daraus folgt, dass man, egal, wo man sich auf dem Mond aufhält, mal im Dunklen und mal im Licht ist. Daraus folgt: Wenn jemand behauptet, er gehöre auf die dunkle Seite, outet er sich als Nomade, der stetig wild über den gesamten Himmelskörper hetzt. :-) - Und Brechts Texte sollte man im Regierungsviertel in Berlin sowieso massenweise kostenlos verteilen.

@ Jake:

Ich hatte Dich schon richtig verstanden - wollte sogar darüber schreiben, dass das Leben auf den Planeten des Klingonischen Reiches auch nicht schlimmer sein könne als das auf der Erde - ich habe mich nur deshalb für die Mond-Variante entschieden, weil das eben eine Redensart hierzulande ist: Missliebige Personen schießt man redensartlich auf den Mond. Und ich bin eine missliebige Person. ;-)

Mrs. Mop hat gesagt…

Ich nix in Sachsen - bin nur ein unerkanntes Dialektgenie. Muss aber gestehen, als du mir mit den Jacobs Sisters drohtest, spontan gedacht zuhaben: Ei verbibbsch, lebt der Charlie etwa in Sachsen...da tun sich ja Abgründe auf! :)

Ja, so hatte ich mir das schon vorgestellt, dass du als Mondmigrant ständig auf planetarer Wanderschaft bist, immer der dunklen Seite auf den Fersen...war da nicht was mit Pink Floyd ;)??

Charlie hat gesagt…

Ach nein, ich bin nur ein oller Westfale, die Sachsen habe ich nur aufgrund ihres liebenswerten Dialektes in mein Herz geschlossen. ;-)

Immerhin begegnen wir uns dann ja gelegentlich - Du immer hinterm Mond, ich immer auf der Hetze nach dem Schatten ... vielleicht bin ich ja der Mann, an dem Du allmorgendlich vorbeifährst? ;-)

Ja, in Musik gegossen wurde das schon, nachzuhören hier: http://www.youtube.com/watch?v=XiimzQ0KqBA

"The lunatic is in my head
The lunatic is in my head
You raise the blade, you make the change
You re-arrange me 'till I'm sane
You lock the door
And throw away the key
There's someone in my head but it's not me.

And if the cloud bursts, thunder in your ear
You shout and no one seems to hear
And if the band you're in starts playing different tunes
I'll see you on the dark side of the moon."

Charlie hat gesagt…

Nachtrag:

"There is no dark side of the moon, really -
Matter of fact it's all dark."

Mrs. Mop hat gesagt…

ha ha ha! Du = "...der Mann, an dem du allmorgendlich vorbeifährst?" - der war gut! Also weißte, zur Zeit (Urlaub!) ruhe ich ja hinterm Mond sozusagen in mir selbst, du dagegen bretterst ständig dem Schatten hinterher, darum würde ich eher sagen: Ich bin die Frau, an der DU allmorgendlich vorbeifährst.

Sehr schöner Text von Pink Floyd. "...got to keep the loonies on the path", merkste was? Die singen von UNS! :)

Charlie hat gesagt…

Wenn Du lieber unter der Brücke liegst als ich, sei Dir das gegönnt. :-) Bislang konnte ich das vermeiden - aber was die Zukunft bringt: Wer weiß?

Der Chef-Komponist von Pink Floyd, Roger Waters, hat ja eine Menge Weisheit aus seinem Hirn entlassen - nicht nur die schon 1973 auf dem rechten Weg zu haltenden Verrückten wie uns. ;-)

Schau nur mal, was er in diesem Song namens "It's A Miracle" aus dem Album "Amused To Death" zum Besten gibt:

"Miraculous you call it, babe
You ain't seen nothing yet
They've got Pepsi in the Andes
McDonald's in Tibet

A doctor in Manhattan
Saved a dying man for free

It's a miracle
Another miracle
By the grace of God Almighty
And pressures of marketplace
The human race has civilized itself
It's a miracle

We've got a warehouse of butter
We've got oceans of wine
We've got famine when we need it
Got a designer crime
We've got Mercedes
We've got Porsche
Ferrari and Rolls Royce
We've got a choice

She said meet me
In the Garden of Gethsemane, my dear
The Lord said 'Peter, I can see
Your house from here'

We cower in our shelters
With our hands over our ears
Lloyd-Webber's awful stuff
Runs for years and years and years
An earthquake hits the theatre
But the operetta lingers
Then the piano lids comes down
And break his fucking fingers
It's a miracle"

http://www.dailymotion.com/video/x8qj8z_roger-waters-amused-to-death-its-a_music

Mrs. Mop hat gesagt…

Brilliant, alles, aber das Beste ist der abstürzende Klavierdeckel *autsch. Wer nicht hören will, muss fühlen - so einfach kann Geschichte sein.

Hast du den irren Vollmond heute früh gesehen? Er hat für einen starken Moment mit der Morgendämmerung konkurriert und mich völlig in Bann gezogen. Dich konnte ich allerdings nicht entdecken. Logisch, war ja viel zu hell dafür ;).

Charlie hat gesagt…

Hach ja, da fehlt ein "s" im Waters-Zitat. Blöde Morgenstund, die meine Abendstund ist. Und den Klavierdeckel würde ich gern so manchem Volksnarkotisierer auf die Griffel hauen, auch wenn ich das nicht in so schöne Worte und Klänge verpacken kann wie der Herr Waters. :-)

Wieso um alles in der Welt befasst Du dich mitten im Urlaub mit der Morgendämmerung? Hallo? Mensch, Mrs. Mop, bleib doch einfach mal morgens lange liegen und genieße es, den Feudel im Schrank und den Mond am Himmel zu wissen, während Du dich einfach erholst. :-)

Mrs. Mop hat gesagt…

Was soll ich machen - der innere Rhythmus funktioniert unverdrossen weiter, Urlaub hin, Urlaub her. Hinzu kommt aber, dass ich jene zwielichtige Stimmung in der Morgendämmerung abgöttisch liebe. Also steh' ich früh auf, gucke dem Abgang des Mondes und dem Aufgang der Sonne zu, verrichte (eher symbolisch) so ein paar Haushaltstätigkeiten und lege mich nach zwei, drei Stunden wieder hin. Auch das ist Urlaub: sich einfach dann aufs Ohr hauen, wenn's einem passt ;).